28.02.2009. 
Nachdruck vom Buch 
"Faszination des Unfassbaren", 
Verlag "Das Beste", 1983, Seiten 284-285.

Die seltsame Aura auf Kirlianfotografien

Eines Abends im Jahr 1970 setzte sich Thelma Moss, Psychologin an der Universität von Los Angeles (Kalifornien) hin, um ein neues Buch zu lesen, das zu begutachten man sie gebeten hatte. Zuerst fühlte sie sich von dem "reißerischen journalistischen Stil" des Buches abgestoßen, doch beim Weiterlesen ergriff sie eine gewisse Spannung. Es handelte sich um das Buch PSI von Sheila Ostrander und Lynn Schroeder. Dieses Buch, das zu den parapsychologischen Bestsellern des Jahrzehnts gehörte, berichtete von über 30 Jahren sowjetischer und osteuropäischer wissenschaftlicher Erforschung paranormaler Phänomene, Ein Bereich dieser Forschungen fesselte Frau Moss ganz besonders, der Kirlianeffekt, eine Methode, mit der man angeblich die schimmernde Ausstrahlung von etwas, was man die Lebenskraft selbst nennen könnte, auf einem Film festhalten konnte.

Semjon Kirlian mit seiner Frau Ludmila.
Semjon Kirlian mit seiner Frau Ludmila.

Semjon D. Kirlian, der Entdecker des Kirlianeffekts, war Elektronikingenieur, der sich seine Kenntnisse größtenteils als Autodidakt erworben hatte, und Erfinder. Mit seiner Frau Valentina lebte er in einer bescheidenen Zweizimmerwohnung in der russischen Stadt Krasnodar. 1939 - er arbeitete damals als Wartungsmechaniker und Elektriker im örtlichen Krankenhaus - konstruierte er ein ungewöhnliches Gerät zum Fotografieren von Gegenständen, die in einem hochfrequenten elektrischen Feld standen, wobei er sich der Ausrüstung der Klinik bediente. Sein erstes Versuchsobjekt war seine eigene Hand. Als Kirlian die fotografische Platte entwickelte, stellte er mit Verblüffung fest, daß von den Fingerspitzen des dunklen, silhouettenartigen Bildes ein geheimnisvoller Glanz ausging. Fasziniert von diesem unerwarteten Ergebnis, fuhren er und seine Frau mit ihren Experimenten fort, wobei sie ihre Techniken und ihre Ausrüstung immer mehr vervollkommneten und eine immer größere Auswahl lebender und lebloser Objekte fotografierten.

Die Ergebnisse, die Semjon D. Kirlian weiterhin erzielte, waren unerhört aufsehenerregend. Ein frisch vom Baum geschnittenes Blatt zum Beispiel war von einer leuchtenden Aura umgeben, und seine Oberfläche war von Myriaden von Lichtpünktchen übersät. Einige Tage später hatte dasselbe Blatt nur noch eine schwächere Aura, und die meisten der Lichtpunkte waren verschwunden. Ein Gegenstand aus einer trägen Masse, wie zum Beispiel eine Münze, zeigte nur eine schwache Aura und überhaupt keine Lichtpunkte. Eine menschliche Hand konnte unter Umständen Lichteffekte hervorbringen, die verschwommen und ungeordnet waren, wenn der Besitzer der Hand krank oder besorgt, die aber leuchtend und scharf waren, wenn er bei guter Gesundheit war.

Kirlianfoto eines ganzen gesunden Blattes Kirlian-Phantombild eines abgeschnittenen Blattstückes (Phantomblatteffekt)
Kirlianfoto eines ganzen gesunden Blattes Kirlian-Phantombild eines abgeschnittenen Blattstückes (Phantomblatteffekt)

Bei einem Experiment, das einige von Kirlians Nachfolgern durchführten, wurde vor der Aufnahme die Blattspitze abgeschnitten. Das entwickelte Bild zeigte laut Bericht der Forscher die typischen Merkmale eines frisch abgerissenen Blattes, wobei das fehlende Stück durch eine "Phantomspitze" ausgefüllt war, eine schwache Aurafläche, die mit den ursprünglichen Umrissen des Blattes genau übereinstimmte.

In den Nachkriegsjahrzehnten fuhren die Kirlians mit ihrer Arbeit fort, wobei sie schließlich auch mit der Farbfotografie arbeiteten. Doch erst in den sechziger jähren gelang es ihnen, eine bescheidene Forschungshilfe von der Regierung zu bekommen; danach reagierten auch die offiziellen Stellen mit wachsendem Interesse. Hatten die Kirlians mit ihren "biolumineszenten" Bildern den Nachweis für eine neue Form der Energie erbracht? Hatten sie etwas bewiesen, was entsprechend veranlagte Medien seit Jahrtausenden behaupteten, daß alles Lebendige von einer unsichtbaren Aura umgeben ist? Konnte man den Kirlianeffekt nicht möglicherweise auf dem Gebiet der Medizin, der Psychologie, der Biologie und vielleicht sogar der Kriminologie nutzbringend anwenden? Die Möglichkeiten schienen endlos.

Die Psychologin Thelma Moss, eine der ersfen amerikanischen Forscherinnen, die sich mit Kirlianfotografie beschäftigte.
Die Psychologin Thelma Moss, eine der ersfen amerikanischen Forscherinnen, die sich mit Kirlianfotografie beschäftigte.

Sie erschienen auch Thelma Moss und einer Handvoll amerikanischer Forscher endlos, als sie Anfang der siebziger Jahre zuerst vom Kirlianeffekt hörten. Besonders aufregend fand Thelma Moss, daß es so aussah, als sei der Effekt unter Laborbedingungen wiederholbar - eine Eigenschaft, die bei anderen sogenannten paranormalen Phänomenen oft fehlte. Nachdem Frau Moss monatelang über die Kirlian-fotografie gelesen hatte, fuhr sie in die Sowjetunion, unterhielt sich mit Forschern und beschaffte sich wissenschaftliche Literatur. Als sie Anfang 1971 wieder in Kalifornien war, machten sie und einer ihrer Studenten, Kendall Johnson, sich daran, ein eigenes Kirliangerät zu konstruieren. Nach vielen Versuchen - und einer Reihe von Fehlschlägen - hatten sie endlich Erfolg.

Andere amerikanische Forscher, wie Stanley Krippner und William Tiller von der Stanforduniversität, folgten bald Moss' Beispiel, und im Mai 1972 war die Kirlianforschung in den Vereinigten Staaten so weit fortgeschritten, daß eine erste Konferenz über "Kirlianfotografie, Akupunktur und die menschliche Aura" einberufen werden konnte. Einige Teilnehmer berichteten, es sei ihnen gelungen, eine ganze Reihe der von den Sowjets beobachteten Kirlianeffekte ebenfalls zu erzielen und einige sogar neu zu entdecken.

Am 15. Oktober 1976 erschien in der wissenschaftlichen Zeitschrift Science ein kritischer Artikel, in dem es hieß, der Kirlianeffekt werde wahrscheinlich nur durch die im fotografierten Gegenstand anwesende Flüssigkeitsmenge produziert. In bezug auf die Wiederholbarkeit schrieben die Autoren des Artikels, daß mindestens 25 unberechenbare Umstände kontrolliert werden müßten, bevor man eine Kirlianfotografie schlüssig interpretieren könne, womit sie andeuteten, daß viele berühmte Kirlianbilder möglicherweise nutzlos waren. Manche Physiker sind sogar der Ansicht, daß der Effekt vielleicht nur Entladungsströme zeigt, die zwar die fotografischen Emulsionen beeinflussen, aber wenig über den Gegenstand selbst aussagen.

Inzwischen geht die Forschung weiter. Thelma Moss berichtete von einem hundertprozentigen Erfolg, als sie den Effekt nutzte, um die Keimfähigkeit von Sojabohnensamen vorherzusagen. Ihren Berichten zufolge hat sie auch Kirlian-Videobänder hergestellt, auf denen Pflanzenauren zu sehen sind, die bei einer sich nähernden Hand leuchtender werden. Physiker der Drexel-Universität berichten von Beziehungen zwischen Strahlungswechsel in Fingerspitzenkoronen und bestimmten geringfügigen Schmerzen.

Das angebliche Beweismaterial häuft sich, doch eine Kernfrage bleibt bestehen: Was erzeugt den Kirlianeffekt? Ist es eine neue Form der Energie oder nur eine neue Manifestation einer bekannten Art? Für Thelma Moss steht die Antwort fest. "Ich würde keinen Sinn darin sehen, mich auf diesem Gebiet abzuplagen", sagte sie, "wenn ich glaubte, daß es sich um ein rein elektrisches Phänomen handelt."