Nachdruck vom Buch 
"Mysterien des Altertums", 
Knauer, 2002, Seiten 92-93.

 

Seit Jahrhunderten hält sich die Legende, dass in einem verborgenen Tal des Himalaja die letzten spirituellen Geheimnisse der Menschheit von geistigen Lehrern gehütet werden. Indem diese Meister ihre Lehre an ihre Anhänger weitergeben, haben sie indirekt auch Einfluss auf die Geschicke der Menschheit. Das geheime Direktorium, dessen Mitglieder übersinnliche Kräfte besitzen sollen, lebt in der Kolonie Shangri-La (auch Shamballa genannt). Wird das Wirken der Menschheit von unsichtbarer Hand gelenkt? Gibt es eine Art Weltregierung im tibetischen Hochland? Zahlreiche Hinweise antiker Autoren deuten auf eine "höhere Macht", die in historische Ereignisse eingriff - meist durch "himmlische Manifestationen". So sollen beispielsweise leuchtende Balken in den Wolken erschienen sein, als die Spartaner in der Seeschlacht von Knidos (394 v. Chr.) ihre Herrschaft an die Athener abtreten mussten.

Geistiges Zentrum In den Überlieferungen Asiens ist Shangri-La das geistige Zentrum des Planeten Erde, in dem die spirituelle Erneuerung der Menschheit vorbereitet wird. Das neue Ideal eines friedfertigen Menschseins soll von dort noch im 21. Jahrhundert in die Welt getragen werden. Buddha, Zarathustra, Lao-Tse und Jesus sollen in ihren jungen Jahren bei den Meistern gewesen sein. Im "Tibetischen Totenbuch" heißt es über das geheime Direktorium: "Als schweigende Wachposten schauen sie mit göttlichem Mitleid von ihren Bollwerken auf die Welt bis zum Ende des Kali Yuga - des dunklen Zeitalters - bis der Tag des Erwachens über alle Nationen hereinbricht."

 

Der Graf von Saint Germain

Der Name Shangri-La wird auch in indischen Schriften (Puranen) erwähnt und dort als ein wirklich existierender geographischer Ort angesehen. Auch nach den Lehren der Adyar-Theosophie, der Muttergesellschaft aller späteren theosophischen Vereinigungen, ist Shangri-La der Aufenthaltsort der Meister und Sitz ihrer spirituellen Adepten und Anhänger, wie des legendären Grafen von Saint Germain. Dieser soll ein gern gesehener Gast an den Königshöfen des 17. und 18. Jahrhunderts gewesen sein und galt als Mann ohne Geburtsurkunde und Totenschein. Er war Alchemist, Philosoph, Komponist, Geigenvirtuose und Erneuerer geheimer Logen. Seine wahre Existenz gilt jedoch als umstritten. Von ihm sprach der Philosoph Voltaire als "der Mann, der alles weiss und niemals stirbt." Westliche Okkultisten rückten die Lage von Shangri-La in unzugängliche Bereiche der

Wüste Gobi. Nach den Lehren der Arkanschule (1923 in New York als Übungsstätte für Meditationstechniken gegründet) ist Shangri-La "das Zentrum oder der Zustand göttlichen Bewusstseins". Die Gründerin der Theosophischen Gesellschaft, Helena Petrowna Blavatsky (1831-1891), die von ihren Anhängern als Beauftragte der "Geheimen Meister" verehrt worden war, will ihr Wissen von verstorbenen und lebenden "Meistern aus dem Hochhimalaja" erhalten haben.

 

Parallelen zur modernen Wissenschaft

Ihre 1888 erschienene vierbändige "Geheimlehre", das "magnus opus", versteht Madame Blavatsky als "Synthese von Wissenschaft, Religion und Philosophie". Denker wie der Astronom Camille Flammarion (1842-1925), der Erfinder Thomas Alva Edison (1847-1931) und der Maler Wassily Kandinsky (1866-1944) fühlten sich von der Veröffentlichung angesprochen. Der Biophysiker Professor W. D. McDavid (1929) von der Universität Texas fand 1984 während eines Symposiums "verblüffende Parallelen zwischen der alten Geheimlehre und den Schlussfolgerungen der modernen Wissenschaft in Bezug auf die Entstehung des Universums und des Lebens auf der Erde."

 

Die Expedition des Nikolai Roerich

Zusammen mit einer kleinen Gruppe von Mitstreitern machte sich 1925 der russische Maler, Wissenschaftler und Friedensstifter Nikolai Konstantinowitsch Roerich (1874-1947) - er hat den so genannten Roerich-Pakt, einen Vertrag zum Schutz der Kulturgüter, der am 14. April 1935 von den 21 Mitgliedstaaten der "Panamerikanischen Union" für den Kriegsfall unterzeichnet wurde, intiiert - zur Durchquerung des Himalaja auf. Obwohl sich die Gruppe das Ziel gesetzt hatte, das kulturelle Erbe der Menschen Zentralasiens zu erkunden, war ihre eigentliche Hoffnung, das geheimnisvolle Shangri-La zu finden. Ein "plötzlich am Himmel auftauchendes großes, leuchtendes Objekt" wertet Roerich in seinem Buch "Shambhala" als ein "gutes Zeichen von beschützender Kraft."

Hatte Nikolai Roerich sein Märchenland erreicht? Er selbst schwieg darüber, aber auf einem seiner schönsten Bilder "Burning of Darkness" [Verbrennung der Finsternis] ist eine Gruppe von Männern in langen Gewändern zu sehen, die in einer mondhellen Nacht aus einer Felsspalte eines Berges im Himalaja treten. Unter ihnen ein barhäuptiger Mann mit Vollbart - zweifelsfrei Roerich selbst, der wie ein Mönch einer geheimnisvollen priesterlichen Gemeinschaft anzugehören scheint.

Verbrennung der Finsternis, N.K.Roerich, 1924
Verbrennung der Finsternis, N.K.Roerich, 1924